Die Akte Barschel ist noch nicht geschlossen

Vor 35 Jahren starb Uwe Barschel in Genf. Gegen 13.30 Uhr wurde er in der Badewanne des Zimmers 317 des Hotel „Beau-Rivage“ tot aufgefunden. Selbstmord? Selbst bei den Ermittlungen der nächsten Tage kamen schon damals intern Zweifel auf. Aber in der Öffentlichkeit wurden andere Eindrücke erweckt. Jahrelang gab es in Deutschland kaum Zugänge zu Akten und Asservaten. Im Laufe der 35 Jahre wurden die Hinweise auf Mord immer klarer: Das fremde Haar (war es das einzige?), fremde DNA (wissen wir schon alles?), interessante Spuren, Informationen aus Geheimdienst-Kreisen. Es sprechen viele Hinweise gegen Selbstmord. Man darf sicher sein: Die Akte Barschel ist noch nicht zu.

Tod: Die Indizien sprechen eine klare Sprache

Ohne meine Forderung nach einer DNA-Untersuchung an der Kleidung von Dr. Uwe Barschel wüssten wir bis heute nicht, dass es fremde DNA bei ihm gab. Das Ergebnis machte schon 2012 Schlagzeilen: Fremde DNA wurde gefunden. Wo fremde DNA ist, muss mindestens eine 2. Person sein. Eine Stichstelle im Magen, die normalerweise von einem Schlauch stammt, Hämatome, die in Genf weggeschminkt wurden, fremde Substanzen in Flasche, Glas, Schuh und Matte im Zimmer 317 des Beau-Rivage in Genf, in dem Barschel am 11. Oktober 1987 starb, Bilder, die nichts wurden, diverse Ermittlungsdefizite – sie vermitteln ein klares Bild. Und so beendete auch die Lübecker Staatsanwaltschaft 1997 / 1998 ihre Ermittlungen mit dem Ergebnis, dass es Mord sei. Ermittlungen übrigens, die nicht frei von Hemmnissen, Druck und dem Vorenthalten von Informationen waren.

Barschel-Affäre: Der dubiose Pfeiffer

Er war als schillernder Journalist in Bremen bekannt, der es mit der Wahrheit nicht so genau nahm und der gern auch mal weit übers Ziel hinausschoss, hielt zeitweilig Trauerreden, verkaufte Eis – Reiner Pfeiffer, der durch seine „Enthüllungen“ über den Ministerpräsidenten Dr. Uwe Barschel und dessen Staatskanzlei nicht nur die ersehnte Bekanntheit erreichte, sondern auch mehr als 150 000 Mark einstrich. Vom SPD-Politiker Günter Jansen gab es einige Zeit nach der Affäre noch mal rd. 40 000 Mark dazu, in der „Schublade“ angespart und aus „sozialen“ Gründen. War Pfeiffer wirklich bedürftig? Ein Blick auf sein damaliges Konto könnte Klarheit bringen. Barschel hat Pfeiffer mit Blick auf seine Einstellung nur einmal gesehen, verließ sich auf Empfehlungen. Das war ein Fehler des Ex-Ministerpräsidenten. Mehrere Staatsanwaltschaften und Gerichte, die in den Jahren nach der Affäre zu ermitteln hatten, hielten Pfeiffer für nicht glaubwürdig.

Barschel-Affäre: Ein einseitiges Bild 1987

Nachdem er seit dem Vortag der Landtagswahl am 12. September 1987 mit den Vorwürfen konfrontiert worden war (der NDR unterbrach sein Programm, um die Pfeiffer-, SPD- und SPIEGEL-Darstellungen spektakulär zu verbreiten) und als Ministerpräsident Ende September 1987 („Weil das Wohl das Landes meinen Rücktritt gebietet“) zurückgetreten war, wurde es schnell politisch einsam um ihn: Dr. Uwe Barschel.

So ist es oft, wenn auch nicht immer in der Politik: Wer oben steht, hat viele Freunde, wer fällt, weniger oder kaum noch welche.

Aber er war alles andere als verzweifelt, sondern durchaus kämpferisch. Ich habe mit einer Reihe von Menschen gesprochen, die ihn damals erlebt haben. Wovon wir seinerzeit nichts hörten, war das Wissen führender SPD-Politiker über die Kontakte ihres Pressesprechers Klaus Nilius mit Reiner Pfeiffer mindestens seit Juli 1987 und die Unglaubwürdigkeit diverser Pfeiffer-Behauptungen. Und: Dass es auch aus Schleswig-Holstein Komponenten in die internationale Politik der Waffengeschäfte gab. Und: Dass Behörden aus dem Sicherheitsbereich über mehr Informationen verfügten, als sie zu erkennen gaben. Der 2. Untersuchungsausschuss im Landeshaus (Schubladen-Ausschuss. 1994 – 96) korrigierte das einseitig negative des ersten über Barschel, Gerichte und Staatsanwaltschaften desgleichen.


Der BND und die Barschel-Affäre

Wissen wir schon alles über die Affäre von 1987? Nein. Die „Kieler Nachrichten“ lenken den Blick heute (23. Jan. 2021) auf die Frage, welche Akten es beim BND gibt. Berechtigt. Ich habe den KN geantwortet: „Mein Empfinden ist, dass trotz aller Antworten und Auskünfte der BND noch immer blockt.“ 1994 gab der BND Infos an die Lübecker Staatsanwaltschaft. Sie hatte bereits am 12. Okt. 1987 Ermittlungen zum Tod von Uwe Barschel in Genf aufgenommen, die dann langsam „einschliefen“, offiziell aber nicht eingestellt wurden. Ab Ende 1994 wurde die Staatsanwaltschaft wieder intensiv tätig. Beim BND gibt es Akten, die in etwa die Zeit zwischen 1990 und 1996 betreffen. Nicht uninteressant. Gibt es im BND-Archiv noch mehr geheime Akten? Es dürfte sich lohnen, dies zu klären. (26. Januar 2021)


Uwe Barschel erst bewusstlos, dann der Tod – die Todesnacht in Genf

„Was geschah in der Todesnacht vom 10. auf den 11. Oktober 1987 in Genf? Uwe Barschel wurden verschiedene Mittel zugeführt. Das todbringende Cyclobarbital erst, nachdem er sich bereits in einem komatösen Zustand befand, also selbst nicht mehr handeln konnte. Im Mageninneren wurden bei der Obduktion der Leiche kleine, punktförmige Blutungen festgestellt. Sie entstehen, wenn ein Schlauch eingeführt wird. Schon ein mit der Untersuchung vertrauter Genfer Arzt stellte fest, dass „ein Mensch bei der Medikamentenkombination sich weniger oder überhaupt nicht zur Wehr setzen würde.“ (3. Februar 2016)


Barschel-Aufzeichnungen 8 Jahre im LKA-Tresor

Und auch darüber kann man sich nur wundern: Genfer Ermittlungsergebnisse und Aufzeichnungen des dorthin nach Barschels Tod entsandten Beamten des schleswig-holsteinischen LKAs blieben 8 Jahre im Tresor des Landeskriminalamtes in Kiel liegen. Erst 1995 kamen sie zur Lübecker Staatsanwaltschaft. Warum wurden sie nicht zur STA gebracht, warum fragte niemand nach? In Genf waren nicht nur Schweizer Ermittler tätig, sondern in den ersten Tagen nach dem Tod des Ministerpräsidenten auch mehrere deutsche Beamte (Staatsanwaltschaft Lübeck, BKA, LKA).

Merkwürdigkeiten bei den Barschel-Ermittlungen / Fragen bleiben

Genfer Polizei-Fotos aus dem Tatort-Zimmer 317 waren nicht zu gebrauchen. Die Leiche sollte möglichst nicht erneut obduziert werden. Hämatome wurden überschminkt. Zur 2. Obduktion in Hamburg wurden nicht alle Asservate geschickt. Für manche Untersuchungs-Ergebnisse brauchte es lange. Bei der Lübecker Staatsanwalt ging ein wichtiges Haar unbemerkt und spurlos verschwunden. Es lag auf Barschels Bett im Zimmer 317 und – so viel stand fest – stammte nicht von ihm.


Barschel-Affäre: Das Wissen von Geheimdiensten rückt in den Mittelpunkt des Interesses

„25 Jahre Affäre 1987″ – das Interesse an dem Abend des Heimatbundes unter der Leitung des Vorsitzenden Helmut Ohl war groß. Thema und Referent sorgten für einen vollen Saal im „Klausdorfer Hof“ in der Stadt Schwentinental. Landtagsabgeordneter und Buchautor Werner Kalinka referierte gut 70 Minuten, anschließend Fragen und Antworten.

Kalinka erinnerte an den öffentlichen Ausbruch der Affäre am Nachmittag vor der Landtagswahl vom 13. September 1987 mit den Sondermeldungen des NDR aufgrund der SPIEGEL-Vorabinformationen, die Behauptungen Pfeiffers, das Bestreiten Barschels, Tod und Ereignisse am 11. Oktober in Genf, die Hinweise auf Mord, Roloff, die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Lübeck wie die der Genfer Behörden. Auch die Arbeit von BKA und LKA beleuchtete er. Und erinnerte an den Flugzeugabsturz mit drei Toten im Mai 1987. Der Barschel-Terminkalender des Wochenendes lag bei der Stasi.

Die Fehlergebnisse des 1. Untersuchungsausschusses des Landtages von 1987/88 (mitsamt der politischen Kraftlosigkeit der CDU in der Affäre) und die Ergebnisse des 2. (1993 – 1995) unter der Leitung von Heinz-Werner Arens (SPD) mit der Aussage, dass eine Verantwortlichkeit Barschels bei den Kern-Vorwürfen (Steueranzeige, Bespitzelung, Wanze) nicht bewiesen sei. Die zweimaligen „Schenkungen“ in Höhe von je 20 000 DM des früheren SPD-Chefs Günther Jansen an Pfeiffer durch den „Geldboten“ Klaus Nilius, 1987 SPD-Pressesprecher und mindestens seit Juli 1987 mit Pfeiffer im direkten Kontakt. Ministerpräsident und SPD-Bundesvorsitzender Björn Engholm trat im Mai 1993 zurück, weil er 1987 und danach nicht die Wahrheit gesagt hatte.

Kalinka skizzierte die Ermittlungen der Lübecker Staatsanwaltschaft ab Ende 1994 zu den Geschehnissen in Genf, Informationen u.a. aus und zu den Bereichen BND, MfS, Mossad, Iran im Zuge der Ermittlungen und darüber hinaus, Hinweise auf Waffengeschäfte. Und: Versuche der Desinformation.

Versuche, zu einem Ende der Ermittlungen schon Mitte 1996/Anfang 1997 zu kommen. Streitereien innerhalb der Justiz. Die Ermittlungen seien allerdings Ende 1994 nicht neu eröffnet worden, wie zum Teil geäußert. Seit dem 12. Oktober 1987 (705 Js 33247/87) habe es bei der Lübecker Staatsanwaltschaft ein Todesermittlungsverfahren gegeben, das nicht eingestellt worden sei. Ergebnis 1998: Es gibt Hinweise auf Mord, Täter sind aber nicht ermittelbar. Und zur Erinnerung: Mord verjährt nie. Ermittlungen können und müssen bei Anhaltspunkten jederzeit wieder aufgenommen werden.

Im Herbst 2010 die Anregung, DNA-Untersuchungen auch im Fall Barschel vorzunehmen, im Juli 2011 Beginn von Untersuchungen. Oktober 2011: Es wird bekannt, dass ein bedeutsames Haar (stammte definitiv nicht von Barschel) aus dem Hotelzimmer 317 bei der Polizei/Staatsanwaltschaft in  Lübeck verschwunden ist. Laufende Ermittlungen und Suche nach den Verantwortlichen. Auch laufende DNA-Untersuchungen.

Kalinka: „Im Fall Barschel ist noch nicht alles ausermittelt geschweige denn aufgeklärt worden. Dies gilt nicht nur für das Wochenende in Genf. Auch das Wissen von Geheimdiensten und Personen ist noch nicht vollständig ausgeschöpft.“


Ich hatte angeregt, Asservate des Verstorbenen per DNA zu untersuchen. So wie dies inzwischen nahezu selbstverständlich geworden war. Es brauchte einige Zeit. Dann im Juli 2012 offiziell das Ergebnis: An Socken und Krawatte von Dr. Uwe Barschel wurde fremde DNA gefunden. shz-Interview mit Peter Wüst im Juli 2012:

Interview mit der Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung (sh:z) 2012.

Barschel: Das Haar hätte Klarheit gebracht

1988 machte die Stadtpolizei Zürich, die im Auftrag der Genfer Behörden Asservate untersuchte, eine bedeutsame Feststellung. Das Haar, das auf dem Bett des von Uwe Barschel benutzten Zimmers 317 gefunden worden war, stammte nicht von ihm. Nur Insidern war dies bekannt. Im Februar 1995 holten zwei Kriminalbeamte aus S-H diverse Asservate im Auftrag der Lübecker Staatsanwaltschaft aus Genf ab, auch das Haar. 2010 schlug ich eine DNA-Untersuchung vor. Ein Abgleich mit den Haaren des Zimmermädchens hätte Klarheit geschaffen, ob es von ihr stammte. Es ist wohl wenig wahrscheinlich, dass auf einem Bett der Klasse des Beau-Rivage ein fremdes Haar liegt. Dann platzte die Bombe: Das Haar war verschwunden. Es wurde (bislang) nicht wieder gefunden. Eine weitere Unerklärlichkeit bei den Ermittlungen im Fall Barschel. Dass DNA-Untersuchungen auch im Fall Barschel etwas bringen, wie von mir vermutet, stellte sich heraus: Auf Kleidungsstücken von ihm wie einem Socken wurde fremde DNA nachweisbar gefunden. Übrigens: Ein anderer Socken von Uwe Barschel wird immer noch vermisst. (26. Januar 2021)


Uwe Barschel: Verletzungen am Körper, Merkwürdigkeiten im Zimmer 317, die Leiche wurde in Genf geschminkt

Beim toten Uwe Barschel wurden Verletzungen an verschiedenen Stellen festgestellt. Frische Blutungen im Mageninneren, ein Hämatom am Kopf, Veränderungen an der Haut, Blutreste im Bereich der Nase. In Genf wurde die Leiche an bestimmten Stellen geschminkt. Später wurden auch dort Veränderungen in der Haut festgestellt. Die Rotweinflasche, die er sich am Vorabend gegen 18.30 Uhr mit zwei Gläsern bringen ließ, wurde nie gefunden. Sie wurde also entsorgt. Aus der Minibar wurde das Fläschen „Jack Daniels“ entnommen, es war leer. Allerdings nicht ganz, wie erst viel später festgestellt wurde: Es fand sich eine der Substanzen, die in Barschels Körper eingeführt worden waren. Und dann sind da zum Beispiel noch das demolierte Weinglas und der abgerissene Knopf des Hemdes. (26. Januar 2021)


Barschel: Warum war das Hotelzimmer nicht verschlossen?

Wenn jemand in einem Hotelzimmer übernachtet, ist es wohl die Regel, nachts die Tür abzuschließen. Warum war dies in der Todesnacht im Zimmer 317 des Hotels in Genf nicht der Fall? Dies ist bereits die erste wichtige Frage. Bei den Ermittlungen hat dies allerdings wenig Beachtung gefunden. Anmerkung: Zum Verschließen der Tür war im Hotel der Schlüssel nötig, es geht also nur von innen, wenn der Schlüssel auch innen steckt. Und: Wollte Uwe Barschel Selbstmord begehen, wäre es doch das Mindeste gewesen, die Tür zu verschließen, um nicht vorzeitig gefunden zu werden. Er war mit seinem Namen eingetragen, also erreichbar. Beweis: Der Fotograf, der ihn am Samstagnachmittag am Flughafen erwartete, fand danach schnell durch einen Anruf im Beau-Rivage heraus, dass Barschel dort ein Zimmer bezogen hatte. (26. Januar 2021)


Weitere Informationen zur Affäre von 1987