Sehr empfehlenswert: „Zeitreise“ von Stefan Aust

Diese Woche habe ich – zum Teil bis in die Nacht, weil so spannend – das Buch „Zeitreise“ von Stefan Aust gelesen. Sehr empfehlenswert. Der frühere langjährige SPIEGEL-Chefredakteur und heutige Herausgeber der WELT, inzwischen 75 Jahre alt, lässt uns an seinem Wissen, Bewertungen und manchen verschlungenen Recherche-Pfaden zu wichtigen Ereignissen der Zeit seines langen journalistischen Lebens teilhaben. Z.B. über die RAF, ihre geheimen Aufenthalte in der DDR, über die Einheit, die Suche nach dem Bernsteinzimmer, viele Ereignisse im Ausland, Machtkämpfe im SPIEGEL, sein Verhältnis zu Rudolf Augstein, die Medienwelt … und die Affäre 1987, dem Barschel-Komplex. Wir haben uns zu Letzterem übrigens in den 90er Jahren ausgetauscht. Erfolg im Journalismus und als Buchautor ist harte Arbeit – Stefan Aust zeigt dies eindrucksvoll. Es begann mit einer Schülerzeitung, Konkret und Panorama folgten. Und wir lernen den privaten Stefan Aust kennen, Kindheit und Jugendzeit, aber auch den Pferdefreund, der zwar später viel in der Stadt lebt, aber auch das Landleben weiter schätzt.

STASI und kein Ende – das erste Buch

Vor 30 Jahren schrieb ich das erste Buch: STASI und kein Ende. Gemeinsam mit dem damaligen Chefredakteur der WELT, Manfred Schell. Natürlich waren der Fall der Mauer, die Einheit und die Hintergründe dominantes Thema bei uns bei der WELT. Die SED befahl, die Stasi gehorchte – so war das Machtgefüge der DDR bestimmt. Es war eine Diktatur. Die Strukturen, Apparate, Hintergründe, Dokumente, Schicksale – es war ein Buch, was große Aufmerksamkeit fand. Denn so fundierte Fakten und Informationen auf mehr als 400 Seiten waren 1991 – ein Jahr nach der Einheit – schon etwas Besonderes. Ein Buch zu schreiben, ist aufwendig. Nicht nur das Schreiben, das Formulieren sind entscheidend, sondern auch die Recherche, die Zusammenhänge wie Hintergründe zu strukturieren.

50 Jahre

2021 – auch für mich ein besonders Jahr. 1971 wurde ich zum JU-Kreisvorsitzenden in Plön gewählt, also vor 50 Jahren. Schulsprecher in Kiel-Wellingdorf. 1973 – 80 Landesvorsitzender der JU (mit Engagement für die Einheit), 1977 mit 25 Jahren MdL, damals der jüngste. Wichtigstes Thema im Landtag: das Schulgesetz. Erstmals 1978 (bis 1988) CDU-Kreisvorsitzender in Plön, in Urwahl von den Mitgliedern gewählt, damals ungewöhnlich. Von 1999 – 2005 und ab 2014 erneut. Im Landtag erneut 2000 – 2012 und seit 2017 mit 39,9% in Plön-Nord, im Landeshaus u.a. Vorsitzender des Innen- und Rechtsausschusses, des Sozialausschusses, innen- und sozialpolitischer Sprecher der Fraktion. Seit 2002 ununterbrochen Landesvorsitzender der Sozialausschüsse, des sozialen Flügels der Partei. 2x in den Landtag zurückgekehrt, wie auch in den Kreistag (rd. 30 Jahre) – recht selten. Kommunale Wurzeln schaden nicht. Berufliche Stationen u.a. Bonn (Welt, Axel Springer-Verlag), Berlin (Gruner und Jahr), Hamburg (Bauer-Verlag). Als Autor 4 Bücher, zur Affäre von 1987 (Uwe Barschel), zur Stasi und zu den Opfern des SED-Systems. Einige Erinnerungen aus früheren Jahren:

Wir trauern um Norbert Blüm

Die Rente ist sicher – und sie ist es. Dieser Satz steht für Norbert Blüm, der mit 84 Jahren von uns gegangen ist. Ein Politiker mit Leidenschaft, für den das Ringen um die richtige Richtung zum politischen Grundverständnis gehörte. Er hatte Überzeugungen und „stand“ für sie. Für das Soziale, für diejenigen, die Hilfe benötigen, für den „kleinen Mann“. Und der nicht weg lief, wenn es stürmte. Er war 16 Jahre Bundesminister, hinterließ über seine Amtszeit hinaus Spuren und brachte sich bis zuletzt in die gesellschaftspolitische Debatte ein. Was wären wir zum Beispiel ohne die Pflegeversicherung, deren Notwendigkeit er erkannte und durchsetzte. Und der im persönlichen Auftreten so ausstrahlend war wie in der politischen Arena. Ich habe dies beim Redaktionsgespräch mit ihm im kleinen Kreis bei der WELT in Bonn genauso erlebt wie beim 50. Geburtstag des frühren Chefredakteurs Manfred Schell. Plötzlich schmetterte ein Gast ein Lied. Es war Norbert Blüm – der Mann der guten Laune, des Humors, der Menschlichkeit. Wir werden ihn nicht vergessen.

„Egon, mach die Grenze auf, es hat keinen Zweck mehr“ – so soll es nach den Worten von Alexander Schalck-Golodkowski zur Öffnung der Mauer am 9. November 1989 gekommen sein

Dass in der DDR und im Ostblock viel in Bewegung war, dass die Diktaturen um ihre Macht kämpfen musste, dass die Bürger Freiheit, Demokratie und Wohlstand wollten, das war seit längerem zu erkennen. Michail Gorbatschow, der mit Glasnost und Perestroika die Sowjet-Alleinherrschaft der kommunistischen Partei zu retten versuchte, hatte bei seinem Besuch in der DDR Anfang Oktober 1989 Erich Honecker und dessen Vertraute zum politischen Abschuss freigegeben. „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ – das war so deutlich, dass es niemand überhören konnte.

Und seit Monaten hatte es, wie wir später erfuhren, geheime Gespräche von Politbüromitgliedern gegeben, wie mit einer sanften Revolution die völlig marode, am Boden liegende Wirtschaft noch etwas länger über die Runden gerettet werden könne. Alexander Schalck-Golodkowski hat mir einige Jahre später bei einem mehrere Tage dauernden Interview am Tegernsee dazu einiges berichtet.

Einige sahen die Katastrophe kommen – die Stasi hatte in einem Geheimbericht die fast ausweglose wirtschaftliche Situation dargestellt -, andere wie Honecker und sein für die Wirtschaft zuständiger vertrauter Genosse Mittag träumten nach wie vor und gingen vorzugsweise lieber zu Jagd. Die Opposition im Land hatte sich seit Jahren formiert und wurde stärker. Ausbürgerungen, hartes Stasi-Durchgreifen und immer neue Einschüchterungen konnten aber die Entwicklung nur verzögern.

Dennoch – mit dem Fall der Mauer rechnete man an diesem 9. November 1989 nicht. Zu zementiert schien immer noch das SED-System. Wie meist war ich auch an diesem Abend nach Produktion der 2. Ausgabe der WELT, die um 19.30 Uhr des Tages in Druck ging, noch im Produktionsraum.

Dann die Nachricht. Meine Kolleginnen und Kollegen und ich waren wie elektrisiert, jubelten. Wie im Bundestag, wo die Nationalhymne angestimmt wurde, wir hatten natürlich Fernsehen an. Was für ein Augenblick, was für eine Stunde, was für ein Jahr, was für ein Jahrhundert. Die Mauer fällt – woran ich immer geglaubt habe. In meiner Zeit als JU-Landesvorsitzender in den 70er Jahren war es eine Selbstverständlichkeit, dass wir gegen die Mauer und für die Deutsche Einheit demonstrierten.

In der WELT-Redaktion ging es sofort an diesem Abend an die Arbeit, in Deutschland war die erste Stunde auf dem Weg zur Einheit angebrochen. Wie kam es zum Mauerfall? Handelte ein Stasi-Offizier eigenmächtig? Daran glaube ich nicht, das hätte kein Stasi-Offizier gewagt. Viel glaubwürdiger erscheint mir, was mir Alexander Schalck-Golodkowski sagte: Er habe neben Egon Krenz gesessen und diesem am Abend gesagt: Egon, mach die Grenze auf, es hat keinen Zweck mehr. Ich habe Schalck-Golodkowski als einen sehr intelligenten, klugen Analytiker kennen gelernt.

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Werner Kalinka erlebte den Fall der Mauer in der Zeit als Redakteur der WELT in Bonn.